Wissenschaftliche Tagung 2018
100 Jahre Gründung der Wolgarepublik
Am 19. Oktober 1918 erschien das Dekret der sowjetischen Regierung „Über die Autonomie des Gebietes der Wolgadeutschen“. Damit war die Grundlage der wolgadeutschen Republik – eines autonomen Bestandteiles der Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) – gelegt. Hinsichtlich der Bevölkerung sowie des Territoriums umfasste die Autonomie das kompakte deutsche Siedlungsgebiet an der mittleren Wolga mit über 600.000 Einwohnern, davon waren ca. zwei Drittel deutscher Nationalität.
Die Autonomie war ein Ergebnis starker Bestrebungen nach Wiedererlangung und Sicherung bürgerlicher Rechte der Deutschen im Russischen Reich, die nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges in zunehmendem Maß eingeschränkt wurden. Unter anderem weckte die Februarrevolution die Hoffnungen auf eine Rücknahme der sog. Liquidationsgesetze sowie auf die Wiedereinführung des Deutschen als Amts-, Unterrichts- und Gottesdienstsprache.
Während die deutschen Sozialisten lange Zeit über die Zukunft der Wolgadeutschen im neuen Staat uneinig blieben, versuchten die Bolschewiki nach ihrer Machtübernahme im Oktober 1917 die Autonomiebestrebungen unter ihrer Kontrolle zu bringen. Ein „Kommissariat für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet“ wurde mit zuverlässigem Kader besetzt und sollte die Grundlagen für Sowjetisierung der wolgadeutschen Selbstverwaltung vorbereiten und die Sowjetisierung durchsetzen.
Mit der Erhebung zu einer Autonomen Republik 1924 wurde Deutsch als Amtssprache etabliert, auch andere kulturelle Institutionen wie Theater und Museen wurden gegründet. Neben der gesetzlich festgeschriebenen politischen Vertretung schuf die territoriale Autonomie feste Rahmenbedingungen für sprachliche, soziokulturelle und intellektuelle Entwicklungsperspektiven. Diese kamen auch den Deutschen aus anderen Regionen der Sowjetunion zugute.
Die Konferenz gehörte zu einer Veranstaltungsreihe, die die Deutsche Gesellschaft gemeinsam mit wissenschaftlichen Einrichtungen und mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland plant und durchführt. Das Ziel der diesjährigen Tagung „100 Jahre Gründung der Wolgarepublik“ war es, einen Blick auf die Geschichte der wolgadeutschen Autonomie zu werfen, zugleich aber auch die Frage zu diskutieren, welche Bedeutung die Autonomie sowie auch andere Formen nationaler Selbstverwaltung für die Geschichte der Deutschen in/aus der Sowjetunion für ihre kulturelle und nationale Entwicklung und für Identität hatte.
Nicht weniger interessant scheint auch der außenpolitische Aspekt der Geschichte der deutschen Autonomie an der Wolga, die ja von der sowjetischen Führung als Muster für die Sowjetunion betrachtet wurde. Auch seit Mitte 1980er Jahre stand eine mögliche Wiederherstellung der Autonomie im Zentrum der deutsch-sowjetischen Beziehungen.
Die Veranstaltung wurde als wissenschaftliche Tagung mit Expertinnen und Experten aus der Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durchgeführt.
Hier finden Sie das Programm. Den Veranstaltungsbericht finden Sie ebenfalls hier.
+++ PROGRAMMÄNDERUNGEN: Dr. Olga Litzenberger konnte leider nicht an der Tagung teilnehmen. Das Podium am 12.06.2018 von 11:15 - 12:45 Uhr wurde um Natalia Donig, Universität Passau (Forschungsprojekt Russlanddeutsche – Zeugnisse ihrer Lebens- und Wirkungsgeschichte in postsowjetischen Archiven), erweitert. +++ Waldemar Eisenbraun nahm in seiner Funktion als Kulturreferent der Landesgruppe Bayern in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland teil. +++ Hugo Wormsbecher konnte nicht an der Tagung teilnehmen. An seiner Stelle war Dr. Walther Friesen, Zeitzeuge der Autonomiebewegung, Experte für Minderheitenpolitik und Dozent des Ausbildungs- und Forschungszentrums ETHNOS e. V., auf dem Podium vertreten. +++
Die Vorträge folgender Redner können Sie hier abrufen:
Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Edgar L. Born, Pfarrer, Beauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen für die Fragen der Ausgesiedelten und
der nationalen Minderheiten
Dr. Wladislaw Hedeler, Historiker und Publizist
Dr. Viktor Krieger, Lehrbeauftragter am Historischen Seminar, Universität Heidelberg
Ort:
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kronenstraße 5, 10117 Berlin
Zeit:
12. bis 13. Juni 2018
Ansprechpartner:
Jan Roessel
Referent EU & Europa
Tel.: 030 88412 251
» E-Mail schreiben
Veranstalter:
Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa e.V. (IKGN e. V.) an der Universität Hamburg
Förderer:
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Partner:
Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.
Jugendorganisation der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland